Aus dem Spiegel Reporter 10/99

D E U T S C H E V O N M O R G E N ( 1 )
Arrogant, faul, aber eine Idee
Manche basteln Softwareprogramme, andere gründen Hinterhoffirmen. Zwei
Oldenburger haben den "Parkplatzraver e. V." erfunden.

Für die meisten Jungs liegt das Glück im Bett mit der Freundin oder am Tresen einer Bar, und auf die Idee, das Glück könne sich auf einem Parkplatz verstecken, kamen bislang nur Sexgangster. Diese Meinung wird sich andern müssen: Für den Grafiker Helge Thomsen, 32, und seinen Freund Michael Buss, 25, gibt es keinen schöneren Ort auf der Welt als einen Parkplatz, besonders wenn dieser Parkplatz vor einem Club oder einer Disco liegt. Vorzugsweise samstagnachts steuern sie ergiebige Parkplätze an, besonders gern in der Nähe der Hamburger Reeperbahn: Helge, mit schlaffen blonden Haaren und einem Feuerreifen auf dem T-Shirt, und Michael, mit einem Anglerhut auf dem Kopf, sitzen dann in ihrem goldenen '68er Dodge Charger und starren durch die Panoramascheibe auf den Eingang, so intensiv, als hinge dort die Leinwand eines Autokinos. Und obwohl in der Bar Mädchen in kurzen Röcken zur Beatmusik tanzen, steigen die Jungs nicht aus dem Fünf-Meter-Schlitten: Sie bleiben einfach sitzen, rauchen Zigaretten, trinken Bier und warten darauf, dass die Mädchen zu ihnen kommen.

Sie sind arrogant, sie sind faul, und sie hatten eine Idee: Weil sie gelangweilt waren von dem Billig-Techno, den sie in den Großraum-Discos von Helges Geburtsort Oldenburg ertragen mussten, und weil ihnen die Dorfdeppen mit ihren VW-Golfs und Jettas auf die Nerven gingen, kauften sie sich günstig alte Fords, Chryslers und Opel, mit denen sie nun durch Deutschland fahren. Die Wagen sind alle frisiert und könnten mit bis zu 250 km/h über die Autobahn brettern, doch um Geschwindigkeit geht es den Jungs nicht: Gefallen ihnen die Leute vor dem Eingang einer Disco oder auf einer Raststätte, veranstalten sie dort eine Spontanparty. Sie parken, rufen über Handys Freunde dazu, holen Bier aus dem Kofferraum, legen eine House-Kassette in den Rekorder und laden Fremde auf den Rücksitz ein, zu gepflegtem Geplauder über Adorno oder die Beach Boys. Läuft alles gut, entsteht schnell eine Wagenburg alter Ami-Schlitten auf dem Parkplatz, um die sich mehr Gäste sammeln als gerade noch in der Disco waren. Die beiden Jungs sind Deutsche, und darum haben sie einen Verein gegründet: "Parkplatzraver e. V." heißt ihr Club, er hat bis jetzt nur zwei Mitglieder, soll aber, na klar, bald das Ausgehen der Deutschen revolutionieren. Nicht mehr einsteigen, losfahren, aussteigen soll das Motto sein, sondern einsteigen, losfahren, sitzen bleiben. Nebenbei klären die Raver ihre Gäste noch über den Verfall der modernen Autokultur auf: "Plastikautos" wie Twingos, Ford Kas und Lupos dürfen nicht mitparken. Dieser Schrott beleidige das Auge, predigt Helge ein paar Jungs, die von dem Dodge und dem Freibier angelockt werden. Vielleicht war diese subversive Weltanschauung der Gründungsmitglieder der Grund dafür, dass sich der zuständige Beamte über ein Jahr Zeit ließ, bis er seine Unterschrift auf den Antrag setzte.

Rein in die Discos gehen die Stilfanatiker kaum noch: Ihre zukünftigen Freunde befinden sich immer vor dem Eingang, weil sie vom Inneren genauso enttäuscht sind wie sie. Die Raver müssen sie also nur noch abholen. Die Enttäuschten kommen gern in die Autos, auch die Mädchen aus der kleinen Kiez-Bar: Sie tanzen nicht mehr, sondern hören im Fond des Dodge Helge zu, der erzählt, dass der Rapper Smudo von den "Fantastischen Vier" sich für die Webseite der Parkplatzraver interessiert, weil er auch so einen Wagen sucht. Die Vision der Raver, so Helge zu einer Blonden, ist es, mit kilometerlangen Kolonnen alter Straßenkreuzer durch Deutschland zu fahren und die Autobahnen in Highways zu verwandeln. Und was ist mit Geld? Die beiden Vereinsgründer arbeiten als freie Grafiker, wenn sie nicht im Auto herumsitzen. Und planen, eine Zeitung zu machen für alle, die alte Autos so lieben wie sie.
     
 
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