Knautsch-Potato
Wie es ist, wenn man wegen eines Design-Unfalls ausgelacht wird.

Wochenend-Ausflüge sind kein Spass. Die Sonntagsfahrt im Familienkreis gehört eindeutig zu den kleinen Gemeinheiten im göttlichen Schöpfungsplan. Nie werden die verheerenden Folgen des Sündenfalls deutlicher als im Stau auf der Autobahn; wenn er pöbelt:"Fahr schneller, du Depp. Das ist nicht der Ikeaparkplatz" und sie süffisant das Reiseziel hinterfragt: "Warum musstest du auch an die Ostsee?" Nie liegt der Gedanke an Gattenmord und suizidale Auffahrunfälle näher als in solchen Momenten.
Doch der Schreck ist steigerbar.
Wenn schon vor der Abfahrt Ihr Ältester neben Ihnen am Auto steht und erklärt: "Da steige ich nicht ein, Papa. Das ist ja peinlich" und Sie erst unter Androhung von Taschengeldkürzung überhaupt vom Hof kommen, dann handelt es sich um ein "Multipla".
Das Wort, das an eine scheussliche Krankheit erinnert, ist der Rufname eines Mitglieds der Fiat-Familie. Das Gefährt optisch so missglückt, dass beim Jüngsten Gericht wahlweise zwischen ewiger Verdammnis oder einer Ehrenrunde in diesem Mini-Van gewählt werden darf. Vorausgesetzt, der "Multipla" halt sich bis dahin auf dem Markt.
Um Ihnen einen Eindruck zu geben, stellen Sie sich einfach einen Kleinbus vor, der frontal unter einen LKW gerast und erst nach einen knappen Meter zum Stehen gekommen ist. Dabei wurde die Kühlerhaube zusammengestaucht, die nun vor der Windschutzscheibe eine hässliche Wulst bildet. Von der Seite betrachtet, erinnert dieses Blechgeschöpf an einen Pickel. Nun Verdanken wir Italien neben den römischen Tempelbauten, dem David Mechelangelos, den Alessi-Kaffeekannen und Kiton-Anzügen eine Vielzahl Ästhetischer Grosstaten. Zu Recht darf das Völkchen im Ferrari-Land als das Geschmacksicherste auf dem Erdball gelten.
Wenn aber alle Designer, Couturiers, Künstler und Schöngeister auf einmal im Urlaub sind und trotzdem ein Auto entworfen werden muss, dann entsteht ein "Multipla" offenbar von Mitgliedern einer Gruppe für therapeutisches Malen entworfen.
Aber, wir schweifen ab. Sie sagen also Ihrem Sohn: Maul halten und einsteigen, und zu dritt nehmen Sie in der ersten Reihe Platz. Das geht beim "Multipla" und ist auch eine gute Idee. Aber rutscht Ihr Sohn in den Fussraum vor der Sitzreihe, weil er von Ferne einen Klassenkameraden nahen sieht. Und Ihre Frau fragt pikiert, ob wohl Erich von Däniken am Design der Karosse beteiligt gewesen sei?
Das kann keiner ausschliessen. Trotzdem fragen Sie zurück: Warum? Wortlos weist die Gattin auf die Belüftungsanlage am Armaturenbrett, die haargenau so aussieht, wie jene vermeintlichen Astronautenhelme, die der Weltraumdichter gerne seinem erstaunten Publikum präsentiert.
Sie fahren los, und schon an der ersten Ampel erteilt Sie jenes Phänomen, das von Stund an Ihr ständiger Begleiter ist: Die Leute zeigen mit Fingern auf das Auto. Ein Pärchen bleibt stehen, überquert nicht den Zebrastreifen, sie hält sich kichernd eine Hand vor den Mund, derweil er, halb belustigt, halb mitleidig, auf die Wulst unter Ihrer Windschutzscheibe zeigt. Junge Männer, Frauen, Greise schauen Ihnen fassungslos hinterher. Man kommt sich vor wie einer dieser Typen, die Advent mit räudigen Lamas durch die Fussgängerzonen ziehen und um Futterspenden betteln. Das dürfte wohl das einzige Auto der Welt sein, das Blechschaden serienmässig eingebaut hat, kommentiert die Gattin. Sie sagen nichts.
Ab auf die Autobahn, Richtung Ostsee. Unterwegs ist Stau, und immer wieder schieben sich Autofahrer an Ihnen vorbei, deren mitleidige, staunende oder höhnische Blicke Sie auffangen. Die Leute haben ja keine Ahnung, dass sich der Wagen richtig gut fährt, murmeln Sie. Kurz vor Scharbeutz überholt Sie ein alter Diesel-Daimler mit einem noch viel älteren Bauern am Steuer, dem der Mund nicht mehr zugeht.
Dann Timmendorfer Strand. Sie parken, gehen ins Meerwasser-Aquarium und vergessen. Zwei Stunden später kehren Sie zurück und sehen an Ihrem "Multipla" drei Herren gesetzten Alters versammelt und schnappen gerade noch einen Satzfetzen auf: "...wirklich das hässlichste Auto, das es gibt."
Das hört die Gattin auch, aber leider verfügt sie nicht über Ihre buddhistische Gleichmut. "Ich steige da nicht wieder ein. Gib mir Geld für ein Taxi nach Hause." Sie sagen ausweichend: "Ach Schatz, lass uns schnell noch ein Stück Torte essen, ja?" Der Sohn fragt: " Und was krieg ich fürs Mitfahren?"Zwei Stunden und eine schweigsame Fahrt durch die norddeutsche Tiefebene später stehen Sie wieder vor Ihrer Wohnung. Der Sohn sagt:"Erst will man ja gar nicht mitfahren. Aber dann hat man das Auto doch lieb. Weil es keiner mag, habe ich Mitleid."
Es gilt: Wochenendausflüge sind kein Spass.

Text: Andreas Hallaschka, Stern
     
 
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